Notfallmedizinische Versorgung palliativmedizinisch orientierter Akutsituationen in Deutschland – eine explorative Befragung Ärztlicher Leiter Rettungsdienst
Abstract
Durch die Einführung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung, wird es Menschen mit terminaler Erkrankung vermehrt ermöglicht, ihre letzten Lebenstage in häuslicher Umgebung zu verbringen. Hierbei können jedoch akute Krisen auftreten, denen sich Patient und dessen Angehörige nicht gewachsen fühlen und deswegen den Rettungsdienst einschalten. Ziel dieser Untersuchung war es, darzustellen, inwieweit sich ÄLRD mit der Palliativmedizin und insbesondere mit palliativen Notfällen beschäftigen, ob eine flächendeckende Palliativversorgung bereits verwirklicht ist und wie Palliativpatienten auf eine ambulante Palliativversorgung vorbereitet werden sollen. Außerdem wurde erhoben, in welchen Notfallsituationen eine Kooperation mit einem SAPV Team sinnvoll ist. Ein weiterer Fokus lag auf der Einstellung von Notfallmedizinern zu konkreten Handlungshilfen im Sinne eines Merkmalskatalogs zur Identifikation eines Palliativpatienten. Ob, und welche palliativmedizinischen Fortbildungen stattfinden sollten, wurde ebenfalls näher betrachtet. Insbesondere wurde der Umgang mit Palliativpatienten bei vorhandener Patientenverfügung näher betrachtet und eruiert, wie Notärzte mit Patientenverfügungen in einem akuten Notfall umgehen. Außerdem wurde analysiert, inwieweit das Vorhandensein eines Betreuers am Einsatzort Einfluss auf die Handlungsentscheidungen hat. Hierzu wurden als Vergleichsbasis Daten aus einer Notarztausbildungsumfrage in Göttingen verwendet. Dass eine gewisse Auseinandersetzung mit palliativmedizinischen Aspekten in der Notfallmedizin besteht, war durch die bei fast allen ÄLRD (96,5%) bekannte Einführung des Patientenverfügungsgesetzes zum 01.09.2009 zu erkennen. Auch bei der freien Definition eines Palliativpatienten nannten die meisten Notärzte die grundlegenden Merkmale eines Palliativpatienten. 59,3% der ÄLRD waren der Meinung, dass diese von der wahrscheinlichen Lebenserwartung des Patienten abhängt. Weitere häufig genannte Identifikationsaspekte eines Palliativpatienten hatten eine nicht kurativ behandelbare Erkrankung, Symptomkontrolle als Schwerpunkt der medizinischen Betreuung, begrenzte Lebenserwartung und eine weit fortgeschrittene Grunderkrankung zum Inhalt. Damit waren die Kernelemente der Definition der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin den Notärzten bekannt. Eine besondere Zusatzausbildung wurde jedoch nur von einem Bruchteil der ÄLRD absolviert. Eine Unterschätzung der Wichtigkeit palliativmedizinischer Inhalte konnte auch aus der Unterschätzung der palliativmedizinisch orientierten Rettungsdiensteinsätze gefolgert werden. Während in Deutschland 2,5-5% der Rettungsdiensteinsätze palliativmedizinisch orientiert sind, gaben die ÄLRD in der Mehrheit einen Anteil von nur 1% an. Eine mangelnde flächendeckende Umsetzung der ambulanten Palliativversorgung in Deutschland wurde daraus ersichtlich, dass die Hälfte der Ärzte, welche die Kooperation zwischen dem Palliativnetzwerk Osthessen und dem Rettungsdienst Fulda kannte, ein solches Projekt in ihrer Region aufgrund eines fehlenden SAPV Teams für nicht umsetzbar hielten. Insgesamt stand in 43,0% der Versorgungsbereiche ein spezialisiertes palliativmedizinisches Team zur Verfügung und in 36,6% dieser Bereiche existierte bereits eine Zusammenarbeit zwischen SAPV Teams und Rettungsdienst. Das zeigt, dass sofern eine Möglichkeit zur Zusammenarbeit bestand, diese auch gerne wahrgenommen wurde. Im Gegensatz zu SAPV Teams waren Hospize und Palliativstationen deutlich weiter verbreitet (82,6% der Rettungsdienstbereiche). Eine Kooperation mit dem Rettungsdienst bestand bei diesen wohl aufgrund der permanent vorhandenen Fachkräfte in deutlich geringerem Ausmaß (21,2%). Gerade in der Vorbereitung eines Palliativpatienten auf eine Versorgung zu Hause wurden alle Maßnahmen von den ÄLRD in der Mehrheit als wichtig erachtet. Insbesondere die eindeutige Erkennbarkeit eines Palliativpatienten als solchen, das Definieren medizinischer Handlungsziele und die Erstellung einer Patientenverfügung wurde von mehr als Dreiviertel der Befragten als „absolut wichtig“ eingeschätzt. Auch eine Notfallmedikamentenempfehlung und eine Verfügbarkeit dieser Medikamente vor Ort erachteten mehr als 80% für sinnvoll. Ein palliativmedizinischer Ansprechpartner, welcher auch im Notfall erreichbar ist, wurde sogar von mehr als 90% als nötig eingeschätzt. Für die Zusammenarbeit mit einem SAPV Team wurden insbesondere eine Gewährleistung der häuslichen Patientenversorgung und die Sterbebegleitung gewählt. Für Beides ist die Notfallmedizin weder zuständig, noch ausgebildet, noch kann dies vom Rettungsdienst zeitlich gewährleistet werden. Deswegen ist gerade hier eine Kooperation von SAPV und Notfallmedizin erforderlich. Die Frage nach dem Für und Wider eines Merkmalskatalogs zur schnellen Identifizierung von Palliativpatienten wurde nicht eindeutig beantwortet. Während 52,3% der ÄLRD einen Merkmalskatalog als nicht hilfreich einschätzten, befürworteten einen solchen 47,7%. Einen Notfallbogen dagegen, welche denselben Inhalt hätte wie ein Merkmalskatalog, würden 96,5% der Ärzte für sehr hilfreich erachten und 97,7% nahmen an, dadurch schneller dem Willen des Patienten entsprechend handeln zu können. Die Inhalte und der Umgang mit solchen Checklisten könnten in speziellen Weiterbildungen für Rettungsdienstpersonal vermittelt werden. Jedoch fanden nur in etwa einem Drittel der Rettungsdienstbereiche Schulungen, in denen die Therapie von Symptomexazerbationen und der Umgang mit Palliativpatienten und deren Angehörigen vermittelt werden, statt. Dort waren diese meist bereits in die Ausbildung integriert. Fortbildungsmaßnahmen, welche sich mit dem Umgang mit Patientenverfügungen beschäftigten wurden für Notärzte (80,2%) verglichen mit den Rettungsassistenten (62,8%) als wichtiger eingeschätzt. Auch Schulungen über Therapieentscheidungen am Lebensende wurden für Notärzte (79,1%) sinnvoller gehalten als für Rettungsassistenten (51,2%). Dies ist vermutlich den rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland geschuldet, in denen Rettungsassistenten keine Befugnis für Entscheidungen zum Unterlassen beziehungsweise Beenden von lebensverlängernden Maßnahmen eingeräumt werden. Schulungen mit einem Schwerpunkt auf der psychosozialen Betreuung von Palliativpatienten und deren Angehörigen wurden tendenziell für Rettungsassistenten (67,4%) häufiger als „sehr sinnvoll“ eingestuft als für Notärzte (64%). In keinem der Bereiche wurde ein Simulationstraining angeboten, obwohl v.a. durch Rollenspiele die nötigen kommunikativen Fähigkeiten und die Handlungskompetenz zur psychosozialen Betreuung vermittelt werden könnten. Gerade bei palliativmedizinischen Notfällen, in denen der Patient und die Angehörigen psychisch stark belastet sind, ist es wichtig darauf vorbereitet, wie man am besten mit den Beteiligten umgeht und Therapieentscheidungen vermittelt. Welche Therapien Notfallmediziner bei einem palliativmedizinischen Einsatz, in dem eine vom Betreuer bestätigte Patientenverfügung vor Ort ist, durchführen bzw. ablehnen, wurde meist eindeutig beantwortet. Ein Großteil der Ärzte würde auf eine mechanische oder medikamentöse Reanimation verzichten, keine Intubation durchführen und auch keine kreislaufstützende Pharmakotherapie durchführen und damit dem Willen des Patienten entsprechend seiner Patientenverfügung nachkommen. Eine nicht invasive Beatmung und eine Sauerstoffgabe über Maske lehnten in etwa ein Fünftel der Befragten ab. Eine symptomatische und schmerzlindernde Therapie schätzten mehr als 80% für richtig ein. Somit ist die korrekte Umsetzung der Patientenverfügung unter Einhaltung palliativmedizinischer Ziele in den meisten Fällen gewährleistet. Im Vergleich der beiden Datensätze stellte sich heraus, dass das Vorhandensein eines Betreuers v.a. auf das Durchführen einer mechanischen Reanimation und einer kreislaufstützenden Pharmakotherapie Auswirkungen hat. In beiden Fällen entschieden sich die Ärzte, bei denen im Fallbeispiel ein Betreuer vor Ort war, häufiger zum Unterlassen der jeweiligen Maßnahmen als bei alleinigem Vorliegen einer Patientenverfügung, ohne Bestätigung durch einen Dritten.Date
2014-10-07Type
Hochschulschrift der Universität RegensburgIdentifier
oai:epub.uni-regensburg.de:30852http://epub.uni-regensburg.de/30852/1/Druckversion%200.4.pdf
Rabl, Verena Marina (2014) Notfallmedizinische Versorgung palliativmedizinisch orientierter Akutsituationen in Deutschland – eine explorative Befragung Ärztlicher Leiter Rettungsdienst. Dissertation, Universität Regensburg